Hier stellen wir unsere Philosophie für das Projekt vor. Sie leitet uns und das Projekt.
Die Würde des Menschen ist in unserem Grundgesetz im ersten Artikel verankert. Und obwohl die Würde des Menschen unverhandelbar geboten ist (siehe auch Grundrechtskatalog der Europäischen Union und Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN), wird dieses Gesetz im gesellschaftlichen Miteinander oft unterlaufen. Ausschluss, Vernachlässigung und Gewalt sind Gestalten der Demütigung, die alternde Menschen, insbesondere Menschen mit Funktionsverlust, in Krankheit und Hilfsbedürftigkeit, bedrohen. Der Index Soziale Innovation für das Altern, den wir vermitteln und dessen Anwendung wir empfehlen, funktioniert ähnlich wie ein Kompass: er zeigt an, ob das Ziel, die Würde des Menschen – seine Selbstbestimmung, Selbständigkeit und das Recht auf Teilhabe – im Altern und für alte Menschen angestrebt wird. Wir betrachten die Würde des Menschen als Soll-Zustand, den es anzustreben gilt, und gehen dieser radikal positiv formulierten Orientierung nach.
Durch diese normative Vorgehensweise legen wir den Schwerpunkt auf das eigentliche Ziel des Innovationsbestrebens und damit unterscheiden wir uns von den meisten anderen Projekten, die vor allem gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen untersuchen sowie von anderen Indikatorenmodellen, welche rein organisationale Innovativität, eine nachträgliche Wirkungsmessung von Projekten oder regionale Kapazitätsanalysen fokussieren.
Der Index Soziale Innovation für das Altern bietet einen Katalog von Leitfragen, mit dem der Ist-Zustand von Projekten analysiert werden kann. Zugleich projiziert er positive Zukunftsbilder und bietet Orientierung, um Projekte und Prozesse mit einer hohen Innovativität zu entwickeln. Dem Index liegt ein tiefes Verständnis für komplexe Zusammenhänge zugrunde, und er stellt auf der Basis eines Indikatorensystems ein neues Instrument zur Verfügung, mit welchem die Erkenntnisse aus der Gestaltung von komplexen Systemen praktisch umgesetzt werden können. Weder reduziert der Index dabei die Komplexität des Problems noch gibt er eine einfache Lösung. Für das Verständnis sozialer Innovationen gilt hierbei, dass Neues nicht automatisch besser ist. Entscheidend ist vielmehr, an welchen Zielen sich Innovationen orientieren, mit welcher Haltung sie umgesetzt werden, dass sie von Zufällen, vom Unvorhersehbaren beeinflusst werden, und dass sie in Netzwerken stattfinden und Synergien entspringen.
Altern ist ein Prozess, der in Phasen und Situationen je unterschiedliche Herausforderungen mit sich bringt. Die Frage, wie wir im Alter leben wollen, ist eine, die jede:n, wenn nicht in der Gegenwart, so spätestens in der Zukunft betrifft. Es gibt bereits Projekte sozialer Innovationen in der Alter(n)shilfe, die aufzeigen, wie gutes Alter(n) gelingen kann.
Von der großen Frage, welche Zukunft wir uns im Alter wünschen – auch und vor allem bei Krankheit, Funktionsverlust und Einsamkeit – ausgehend, wurden für den Index Soziale Innovation für das Alter verschiedene zentrale Bereiche identifiziert, anhand von Fragen konkretisiert und so handhabbar gemacht. Neben Pflege und Gesundheit geht es um Mobilität, Wohnen, Design, soziale und politische Teilhabe, Kommunikation und Information etc., deren zukünftige Ausgestaltung daraufhin geprüft wird, inwiefern sie alternden Menschen lebenswerte Zukünfte ermöglicht. Zukünfte, die einer unendlichen Vielseitigkeit im Gegenüber und im Miteinander entsprechen, die unterschiedlichen Lebensrealitäten gerecht werden. Es geht darum, Räume, Strukturen und Umgangsweisen für Selbstbestimmung, Selbständigkeit, Sichtbarkeit, Gesundheit, Vielfalt und Teilhabe zu erarbeiten und zu beleben.
So soll Resonanz im Miteinander und mit der Umgebung ermöglicht werden, die durch Austausch, Risikobereitschaft und Empathie entsteht und die mit den Möglichkeiten des eigenen Ausdrucks erlebt wird. In der Tendenz, die Welt verfügbar, kalkulierbar, sie ökonomisch und politisch verwertbar zu machen, gehen die Nischen zum Innehalten verloren. Erst im Innehalten und im Lauschen lassen sich Momente erleben, in denen wir uns wirksam und lebendig fühlen – in denen wir Resonanz erfahren. Die Welt muss für diese Erfahrung erreichbar sein, indem Menschen zugewandt und offen miteinander reden, indem tatsächliche, räumliche Zugänglichkeit geschaffen wird und intergenerationelle und intersektionale Kontaktzonen ermöglicht werden. Resonanz ist konstitutiv ergebnisoffen und steht daher im Gegensatz zur Optimierung, zur Steigerungslogik und dem Totalitätsanspruch der Sicherheitsdispositive.
Über die individuelle Lebensqualität hinaus geht es um solidarischen Zusammenhang zwischen den Generationen: Alternde Menschen sorgen sich um die Lebensqualität der Generationen ihrer Kinder, Enkel und zukünftiger Generationen. Innovative Projekte vermitteln die Bedeutung planetarischer Gesundheit und intergenerationellen solidarischen Zusammenhalts und entwickeln Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz. Die Förderung planetarischer Gesundheit ist eine Innovation im Gesundheitswesen, die nicht nur die Zukunft jüngerer Generationen, sondern gerade auch alternde Menschen unmittelbar betrifft.
Wir möchten einen langfristigen kulturellen Wandel zur Verbesserung des Lebens im Alter anregen. Dies geschieht zum Beispiel, indem gezielt sozial innovative Projekte gefördert werden. Unser Index ist das Instrument, um die Richtung dafür anzuzeigen. Der Wandel erfordert ein breites Mitwirken auf unterschiedlichen Ebenen. Diese Ebenen schließen lokale, regionale, nationale, internationale sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Akteur:innen ein. Das im Projekt entstandene Wissen soll daher nach den Prinzipien des Open Knowledge zugänglich sein, Vermittlung sowohl an potenzielle Projektfördernde als auch an soziale Projekte und eine interessierte Öffentlichkeit ist zentral. Wir fördern den Austausch zwischen Akteur:innen im Feld der Alter(n)shilfe und stärken Netzwerke.
Für den Index Soziale Innovation für das Altern orientieren wir uns an den Leitbildern des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) sowie der Stiftung Deutsches Hilfswerk (DHW). Das KDA macht sich stark für die Demokratisierung des Alter(n)s.
Das Alter und das Altern soll in seiner Vielfalt in die Mitte der Gesellschaft geholt werden, Mitbestimmungsrechte, Teilhabe und Selbstbestimmtheit auch im Alter gesichert werden. Die Potenziale des Alters werden benannt und gefördert, Engagement alter Menschen gewürdigt und digitale Teilhabe ermöglicht. Das Zusammenleben der Generationen wird gefördert, indem soziale Netzwerke, bürgerschaftliches Engagement und Nachbarschaftshilfe gestärkt werden. Das DHW hat sich zum Ziel gesetzt, solidarisches Miteinander in Deutschland zu stärken und Menschen zu gegenseitiger Hilfe zu motivieren und zu befähigen, um so das Gemeinwesen zu festigen. Der Index Soziale Innovation für das Altern regt dazu an, sozial innovative Projekte inmitten des sozialen Gesellschaftsgefüges und ‚aus der Gesellschaft heraus‘, über etablierte Regelversorgung hinausdenkend und auch jenseits etablierter Regelversorgung, umzusetzen.